Patienten-Story Skoliose

Skoliose - Mit Rückgrat zu mehr Bewegungsfreiheit

Patientenstory Skoliose

Die Skoliose wurde bei Christine Pongratz anlässlich einer Routine-Untersuchung beim Schularzt festgestellt. Bis dahin war das achtjährige Mädchen völlig „normal“. Ab sofort galt sie als schief.

Die Aufklärung der Ärzte begann damit, die Verkrümmung zu beschreiben und endete mit dem Satz: „Das wird in der Pubertät noch schlimmer.“ Heute setzt sich ein Patient mit ähnlicher Diagnose als erstes an den Computer und recherchiert im Internet: Verlauf der Krankheit, Details darüber und dann schnell zu den Netzwerken: Interesse- und Selbsthilfegruppen, Erfahrungsaustausch und so weiter. Christine Pongratz war damals acht Jahre alt, man schrieb das Jahr 1970. Da reduzierte sich die Info auf den behandelnden Arzt. Synchron zur Wirbelsäule nahm das Leben des Mädchens eine ungünstige Wende.

Strecken auf Biegen und Brechen?

Christine Pongratz Familie zog durch den Beruf des Vaters öfter um, mit dem Wohnort wechselte der behandelnde Arzt. Jeder gab sein Bestes, und je nach Schwerpunkt wurde Schulsport oder Skifahrenverboten. Einschränkungen hüben und drüben, die das Bewegungskind Christine zusätzlich belasteten. Einmal wöchentlich ging sie zur Krankengymnastik und übte fast täglich zu Hause. Doch besser wurde es nicht: Mit dem Wachstumsschub der Pubertät kamen weitere teils drastische Einschränkungen dazu, nicht nur tagsüber: Anstelle des kuschelweichen Bettes trat die Gips-Liegeschale, schlafen war nur noch in Rückenlage möglich. Die Prognosen der Ärzte traten unerbittlich ein, die skoliotische Verkrümmung der Wirbelsäule nahm zu auf 45 Grad. Nun wurde die Operation diskutiert: Die Wirbelsäule sollte mit Metallstäben, Schrauben und Klammern begradigt werden. Doch selbst die Ärzte waren skeptisch: zu riskant der brachiale Eingriff, zu unsicher der Erfolg. „Mein Bauchgefühl sagte nein“, erinnert sich Christine Pongratz. „Heute bin ich meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mich entscheiden ließen und mich nicht zur Operation drängten.“

Leben im Korsett

Mit 15 Jahren wurde Christine ein Korsett verordnet. 23 Stunden Tragepflicht pro Tag. Ein Milwaukee-Korsett mit einem breiten festen Ledergurt um die Hüfte und Metall-Stäbe bis unter Kinn und Halswirbel. Ziel war, die Wirbelsäule in die Streckung zu zwingen. „Natürlich konnte man die Metallstäbe im Hals- und Kopfbereich sehen“, erinnert sich Christine Pongratz. „Ich versuchte, durch Rollkragenpullover und Tücher alles so gut es ging zu verdecken.“ Die glückliche Fügung: Sie hatte nicht unter Repressalien zu leiden. "Meine Mitschüler haben mich glücklicherweise so genommen, wie ich war - ob mit oder ohne Korsett. Nicht die Optik zählte, sondern die Freundschaft." Eine maßgebliche Unterstützung in der Pubertät.

Aus dem Kokon in neue Bewegungsfreiheit

Zwei Jahre später galt Christine als ausgewachsen. Die Siebzehnjährige konnte das Korsett endlich ablegen. Die Verbiegung war noch da, so wie sie bis heute da ist, aber der beengende Panzer war weg. „Vor allem den Sommer genoss ich in vollen Zügen,“ erinnert sie sich. „Trägerkleider, Tops mit Spagettiträgern, und im Winter weigerte ich mich ab sofort, Rollkragenpullover anzuziehen.“ Nach all den Plagen begann die junge Frau, ihren scheinbar makelbehafteten Rücken konsequent zu ignorieren und zu verstecken. Die verständliche Reaktion auf die Beurteilungen und Zwänge der vergangenen Jahre. Doch die wirkliche Befreiung brauchte mehr: „Mit 36 Jahren bekam ich von einem Therapeuten den Tipp, es mit der Schroth-Therapie zu versuchen." Niemand hatte sie bisher auf diese Methode aufmerksam gemacht.

Rück-Sicht mal ganz ernst genommen

Eigeninitiative gehört – unter vielen anderen - zu den Vornamen von Christine Pongratz: Sie erkundigte sich via Internet über die Therapie und ließ sich sogleich von ihrem Orthopäden an die Katharina Schroth Klinik überweisen. Der Klinikaufenthalt mit anderen Skoliose-Patientinnen eröffnete eine neue Ära auf Christine Pongratz Skoliose-Weg. Nach Plagerei und Verdrängung war nun Integration an der Reihe: Der Rücken kam aus seiner Aschenputtel-Ecke heraus. Er durfte sich zeigen, wurde abgebildet, seine Bedürfnisse wurden wahrgenommen und seine individuelle Tagesform berücksichtigt. Nach der Verbannung trat er ins Zentrum: eine neue Rolle für die bislang makelbehaftete, abgewandte Körperseite, und eine große Aufgabe für Christine Pongratz: „Ich frage mich immer wieder, warum mir durch all die Jahre niemand von Schroth erzählt hat. Spiraldynamik gab es damals ja noch nicht, aber Schroth darf nicht ignoriert werden. Das war wirklich ein Meilenstein.“

Königsdisziplin Spiraldynamik

Durch andere Patienten kam der Kontakt zu Karin Rosmann-Reif zustande, der Spiraldynamik-Physiotherapeutin mit persönlicher Skoliose-Erfahrung. Christine Pongratz bekam erstmals die Möglichkeit, von starren und statischen Bewegungsabläufen wegzukommen. Nach all den Jahren der aufgezwungenen Erstarrung gelang ihr nun nach der emotionalen Integration des Rückens eine ganz neue Form integrierter Bewegung durch Spiraldynamik. Die Logik und die neu entdeckten Bewegungsräume faszinierten die junge Frau. Der Alltag wurde zum Trainingsfeld, Schwimmen, Tauchen, Skifahren und im Sommer Motorradfahren wurden wieder möglich.
Christine Pongratz hat immer noch eine Skoliose, wird sie immer haben, aber ihr kompetenter, positiver Umgang damit ist der Schlüssel zu Bewegungsfreiheit und Lebensqualität. Ein langer Weg des Selbststudiums, der Disziplin und Einfühlungsvermögen erfordert: ein Balanceakt, der täglich herausfordert. Sicher, Christine Pongratz ist ein Multitalent, ein Energiebündel. Vor allem ist sie ein Beispiel, was möglich ist durch Eigeninitiative und Selbstakzeptanz. In ihren Worten: „Ich wünsche allen, die Skoliose haben, die Energie und Neugierde, Neues kennen zu lernen und sich nicht durch Äußerlichkeiten selber einzuschränken."

Text: Bea Miescher, Dezember 2010

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